Stefan Eberstadt

texts

Rasmus Kleine in »Die Idee Konkret«

»Die Idee Konkret«, Konkrete Kunst als ideengeschichtliche Entwicklung,
Wienand Verlag Köln, Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt, 2012
 

»Stefan Eberstadt spürt in seiner Kunst dem Formenrepertoire der Moderne nach und geht dabei einen eigenen Weg der Rückbesinnung auf die Moderne. Er hat sich viel mit den Utopien der Moderne auseinandergesetzt, sowie mit deren Scheidern an den Bedingungen der Wirklichkeit, das auch einer zu rigiden, die Individualität des Menschen gering schätzenden Umsetzung der gestalterischen Prinzipien geschuldet ist.

Eberstadt greift den geometrischen Formenschatz auf, der mit diesen Utopien verbunden ist und dessen Klarheit und Reinheit, Rhythmen und Klänge eine Schönheit besitzen, die bei Eberstadt, wie er selbst es beschreibt, eine ›innere Zufriedenheit‹ bewirkt. Ganz der Tradition der historischen Avantgarden verhaftet, sind für seine Werke aber auch die Überschreitung von Gattungsgrenzen, sowie die Verwirklichung seines bildnerischen Denkens in den verschiedensten Medien charakteristisch. So finden sich in seinem vielschichtigen Werk neben Skulpturen gleichberechtigt auch Zeichnungen, Gebrauchsgegenstände, wie Hocker und Lampen, sowie Architektur, die tatsächlich genutzt werden kann. Sein künstlerisches Denken ist dabei von einer selbstbewussten Haltung des Sowohl-als-auch geprägt. Ein Hocker ist zugleich eine Skulptur, die sich der Faltung aus der Fläche verdankt, eine Zeichnung kann architektonische Vorstellung evozieren, und eine große, raumgreifende Skulptur bildet funktionale Zonen aus«.

Eberstadt geht es dabei natürlich nicht mehr um utopische Denkformen, sondern um skulpturale und zeichnerische Modelle, die in die Lebenswirklichkeit unseres Alltags ebenso Einzug halten, wie sie im Museum als Objekte der sinnlichen Anschauung dienen können.

Rasmus Kleine, Leiter des Kallmann-Museums, Ismaning

Christian Holl in »Nomadische Architektur«

»Nomadische Architektur«,
tec 21, Nr. 37, Zürich, 09 / 2006
 

Raum sein und Raum schaffen

Zuerst hing es an einem Haus in Köln, dann an einem in Leipzig. Die nächste Station ab Ende August wird die Zeche Zollverein in Essen sein, 2007 soll es weiter nach München ziehen.

Das »Rucksack House« des Münchner Künstlers Stefan Eberstadt ist wahrhaft nomadische Architektur. Konzipiert nicht nur, um selbst zu nomadisieren, sondern dank dieser Eigenschaft auch die Möglichkeit zu eröffnen, einen Raum mit auf die Reise zu nehmen und mit ihm anderenorts wieder anzufangen.

Es ist, als hätte Eberstadt sich das Zitat Ernst Blochs aus den »Spuren« zu Herzen genommen: »Und verlässt man ein Zimmer, in dem man länger gewohnt hat, so sieht man sich sonderbar um, bevor man geht. Auch hier blieb etwas zurück, auf das man nicht kam. Man nimmt es ebenso mit und fängt woanders damit an.« 1 Ernst Bloch: Spuren. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt am Main, 1985, S. 97.

Das Rucksack House ist nicht groß. Bis jetzt existiert es als Prototyp, dessen Inneres neun Quadratmeter bietet. Der Quader ist eine Skelettkonstruktion aus Vierkantstahl, außen beplankt mit Furnierschichtplatten, innen mit Birkensperrholz. Mit vier Dornen wird es außen an einer Fassade fixiert, über Stahlseile die Last von etwa 1,6 Tonnen des in den Straßenraum ragenden Volumens auf sein »Wirtshaus« übertragen. Die scharfkantige Kubatur wird durch bündig in die Fassade eingesetzte Fenster aus Plexiglas durchbrochen, die alle über die Quaderkanten hinweg in zwei Richtungen den Blick freigeben. Und dabei nicht nur die drei horizontalen Richtungen einbeziehen, sondern sich auch nach unten und oben öffnen. Im Innern lassen sich Flächen ausklappen, die als Sitzplatz, Tisch, Bett oder Regal benutzt werden können.

Kommentar zu Stadtraum und Architektur

Das Rucksack House ist, pragmatisch gesehen, zunächst einmal eine Wohn- oder Arbeitsraumerweiterung. Aber es ist mehr als das. Zum Ersten ist es ein Kommentar zu Architektur und Städtebau. Das Rucksack House fragt nach dem Stellenwert, der dem vielfach zum Transitraum degradierten Straßenraum beigemessen wird, fragt danach, ob der Raum zwischen den Objekten selbst Raum sein kann, und danach, wie dieser gestaltet und differenziert werden könnte. Er fragt nach der Zugänglichkeit und Hierarchie des öffentlichen Raums – und nicht nur der öffentlichen Fläche. Denn der sonst selbstverständlich öffentliche Luftraum über der Straße ist nun auf einmal privat, bleibt aber gleichwohl für jeden sichtbar. Dieses Vexierspiel aus öffentlich und privat, mit dem die Vorstellungskraft aktiviert und die Gewohnheit hinterfragt wird, rückt Eberstadts Arbeit in die Nähe derer des amerikanischen Künstlers Dan Graham; in der Polyvalenz von Skulptur, reinem Körper und benutzbarem, architektonischem Raum erkennt man die Nähe zu Donald Judd. Dieser hatte schon 1964 in einem Text zur Ausstellung »Twentieth Century Engineering« geschrieben, dass die Trennung zwischen Kunst und Nicht-Kunst kein Wertmaßstab mehr sein könne. 2 Drexler, Arthur: Twentieth Century Engineering.
Katalog der gleichnamigen Ausstellung im M.O.M.A., ohne Seitenzahlen, New York, 1964.
Kunst und Nicht-Kunst seien an Kennerschaft, an Sammlertum geknüpft, die sich historisch entwickelt hätten, hatte Judd in Anbetracht der in der Ausstellung gezeigten Industriebauten konstatiert. Davon ausgehend, lässt sich die Arbeit Eberstadts auch aus der anderen Richtung interpretieren: Gerade wenn es keinen Sinn hat, zwischen Kunst und Nicht-Kunst zu unterscheiden, braucht der Anspruch an gestalterische Qualitäten nicht auf die Kunst reduziert zu bleiben.

Das ambivalente Verhältnis von öffentlich zu privat ist zudem in gewisser Hinsicht anarchisch. Die demonstrative Raumaneignung durch das Rucksack House ähnelt der eines Baumhauses, aber auch der der Hausbesetzung, die sich gegen die gesellschaftlichen Mechanismen der Raumzuweisung wehrt, auch wenn die Sprache Eberstadts diese anarchische Komponente eher glättet als betont – aber nur so bleibt die Arbeit nicht auf eine Bedeutungsebene reduziert, lässt sie sich nicht eindimensional vereinnahmen. Auch so schafft sie sich einen eigenen Freiraum jenseits der durch die Konvention vorgegebenen Orte. Und der Anspruch, der sich darin äußert, lässt sich zudem als Kritik an der Gleichgültigkeit dem öffentlichen Raum gegenüber lesen, in dem sich durch die vielfältigen Praktiken der Überwachung noch das Misstrauen gegenüber jeder Äußerung des Individuellen äußert.

In einem Interview spricht Eberstadt davon, dass er sich nach dem Raum jenseits des Fensters gefragt habe, wie er realer, begehbarer Raum werden könne. Das heißt: Eberstadt verweist auch auf den Raum der Fantasie, dessen Potenziale nur ausgeschöpft werden können, wenn man sich nicht der gegebenen Hierarchie der Räume beugt. Die Bezeichnung Lichtraum, die Eberstadt seiner Arbeit auch gegeben hat, verdeutlicht, dass das Rucksack House nicht nur pragmatisch zu sehen ist, nicht nur als eine Vergrößerung eines zu knappen Raumangebots.

Raum als Raum begreifen

Denn was hätte es sonst in Leipzig zu suchen, wo keine Raumknappheit herrscht? Diese Erweiterung, sie ist eine Erweiterung der räumlichen Erfahrung. Sie ist eine Erweiterung des eingeübten, abgestumpften Verhältnisses des Menschen zum Raum, sie durchbricht die konditionierten Selbstverständlichkeiten, die nicht mehr der Beweglichkeit unserer Zeit entsprechen. Mobilität, die sich die einen leisten können und zu der andere gezwungen sind, die auf jeden Fall aber die Wirklichkeit der Städte und deren soziales Gefüge bestimmt. Das Rucksack House ist auch gerade deswegen anarchisch, weil es seine Potenziale am stärksten dort entfaltet, wo sich die Privilegierung nicht ausdrücken kann: an glatten, hohen, geschlossenen Bauvolumen. Natürlich weist das Rucksack House dort zunächst einmal selbst dem Ort, den es erweitert, eine besondere Rolle zu. Aber man muss das Rucksack House eben auch in seiner doppelten Rolle und daher im dem Sinne als Kunst verstehen, als es die grundlegenden Bedingungen und Situationen reflektiert und sie pointiert zur Sprache bringt. In derselben Weise sind auch die Walking Cities von Archigram keine lediglich technoiden Utopien, sondern ein Kommentar zur Wirklichkeit, in der die Konvention die Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher, sozialer und politischer Wirklichkeit blockiert. (Möglicherweise stehen genau deswegen die Bilder der alten europäischen Stadt so hoch im Kurs, weil sie nicht nur Sehnsüchte erfüllen und Ängste mildern, sondern weil sie dazu beitragen, Reibungen zwischen wirtschaftlichem und öffentlichem Interesse zu glätten.) Gerade weil es gleichzeitig Kunst und Nicht-Kunst ist, war das Rucksack House in Leipzig genau am rechten Platz: Weil der Leerstand uns wieder lehren könnte, Raum nicht stets nur funktional, an Nutzung gebunden und unter ökonomischen Gesichtspunkten zu sehen.

Das Rucksack House ist im Sinne Franz Erhard Walthers eine künstlerische Konfiguration: ein Raum, zu dem der »Körper ein Verhältnis entwickeln kann«. Und er ist eine Hilfe dabei, zum Raum außerhalb des eigentlichen Objekts ein Verhältnis zu entwickeln: zum Raum über, unter und neben dem Rucksack House. Auch das lässt sich als Kommentar zu einer entweder sich nur selbst als Objekt verstehenden Architektur oder sich in Raumvorstellung des Städtebaus einordnender Bebauung lesen. Architektur sollte immer beides sein: räumliches und raumschaffendes Objekt, und dabei braucht das raumschaffende sich nicht auf den Innenraum zu beschränken. Qualitäten, die in der klassischen Moderne, an deren Sprache sich Eberstadt anlehnt, verwirklicht wurden, die in der Rezeption aber oft vernachlässigt werden.

Das komplexe Verhältnis von Objekt zu Raum hat Eberstadt auch in anderen Arbeiten untersucht. In »stripwall« entwickelt sich aus dem Sockelbereich der Wand eine aufgefaltete Struktur, die in den Raum hineingreift. Und es geht auch umgekehrt: In seinem Mobil office von 2005, einer auf Rollen gelagerten Arbeitsbox, sind konventionelle Außenwandfenster in die Wände und die Decke gesetzt. Der Raum um das Mobil office wird zum Außenraum. Der Ausschnitt, mit dem das Fenster die Landschaft zum Bild werden lässt, richtet sich auf das Rauminnere. Die Landschaft außen, die braucht kein Bild mehr zu sein. Sie soll Raum sein. Raum, zu dem der Körper ein Verhältnis entwickeln kann.

Christian Holl, Dipl.-Ing., Architekt und Journalist

Oliver Elser in »update – Die Welt als Modell«

»update – Die Welt als Modell«, Montag Stiftung Bildende Kunst, Bonn,
Verlag für Moderne Kunst Nürnberg, 2010
 

Physical Instrument (For the Satisfaction of True Needs)

Endet die Ausstellung, dann wird sein Kunstwerk zerstört. Das ist bei den Werken von Stefan Eberstadt nicht immer so. Hier, in diesem speziellen Falle, aber schon. Es wird zerstört, weil die Rauminstallation von einer Baufirma errichtet wurde, die vor Ort einen sogenannten »Trockenbau« in das bestehende Büro hineingestellt und damit den vorhandenen Raum zum Verschwinden gebracht hat. Die Arbeit der »Trockenbauer« fein säuberlich heraus zu präparieren wäre völlig sinnlos und ist auch gar nicht möglich. Der »Raum im Raum« wird von einem für den Besucher unsichtbaren Gerüst aus Aluminiumprofilen gehalten. Denkt man sich die Altbauhülle weg, dann fehlt der Konstruktion die Stabilität und sie kracht in sich zusammen. Gipskartonplatten und Alu-Profile: Wenn man sich einmal bewusst macht, wie große Anteile unserer täglichen Umgebung daraus gebaut sind – es kann einem schwindlig werden vor so viel im Grunde haltloser, parasitenhaft die massiveren Bauglieder überwuchernden Trockenbauten. Die übrigens so heißen, weil sie tatsächlich weitgehend trocken zusammengefügt werden. Ohne den beim klassischen Mauerwerksbau notwendigen Mörtel. Es genügen ein Akkuschrauber und viele, viele Schrauben. Die Schraublöcher werden allerdings dann doch mit ein klein wenig feuchter Masse verschlossen: Spachtelmasse, die auch hilft, die Stöße der Gipskartonplatten zu kaschieren. Auf die Platten kommt dann üblicherweise noch Wandfarbe, Tapeten oder Fliesen. In Stefan Eberstadt Arbeit »Physical Instrument (For the Satisfaction of True Needs)« ist die letzte, dünne Schicht, die ebenfalls von der Baufirma aufgetragen wurde, von großer Bedeutung. »Einfach spachteln und weiß streichen«, so lautete sinngemäß die Anweisung des Künstlers.

Das Ergebnis ist eine Art »deutsche Normalwand«: Unser aller Erfahrungs-Durchschnittspegel, wenn wir uns eine Wand vorstellen. Einfach weiß, ein bisschen rauh und sonst nichts. Unauffällig. Dabei aber exakt so unauffällig wie die Wand, die schon vorher den Büroraum umgab. Es gibt keinen Unterschied zwischen der Wandoberfläche, die schon da war und jener, die neu hinzugefügt wurde. Oder jedenfalls keinen, den man sehen oder spüren könnte, wenn man sich ins Halbdunkel des Raums hineinbewegt. Sind die Wände, die einen auf dem Weg hinein begleiten, etwa schon immer da gewesen? Der Verstand sagt nein. Er hat ja auch Recht. Aber es macht einen Unterschied, ob ein Raum geschaffen wird, der in vielen Dingen ungewöhnlich ist, und die Verfremdung auch das Material der Oberfläche einbezieht oder ob sich die Veränderung im Kleid der allergewöhnlichsten Gewöhnlichkeit daherkommt. Bis auf den Klang der neuen Oberflächen. Der ist anders, meint man festzustellen: Es klingt hohl, wenn man dagegen klopft. Doch wer an einer anderen Stelle der »Baracke« gegen die Wand klopft, wird ebenfalls – und nach dem Besuch im Eberstadt-Büro sicher mit einiger Überraschung – feststellen: Es klingt hier überall hohl. Die ganze Baracke, ein einziger Trockenbau! Nein, so ist es nicht: Das Gebäude wurde aus Holz errichtet, als leichte Konstruktion, ein typisches Provisorium der Nachkriegszeit, mit vielen Hohlräumen in den Wänden, die man mit etwas Dämmwolle verschlossen hat. Dann wurden die Innenräume mit Gipskartonplatten eingepackt. Genauso wie bei der Installation des Künstlers. Nur eben schon Jahrzehnte zuvor.

Wenn Künstler ihre Werke von anderen ausführen lassen, dann verfolgen sie damit (sofern sie dies öffentlich machen) bestimmte Strategien: Zum Beispiel die Aufmerksamkeit vom Ergebnis auf den vorausgegangenen Prozess, die gedankliche Konzeption, zu richten. Oder ein Ergebnis zu erzielen, dass technisch so perfekt ist, wie der Künstler es mit seinen eigenen handwerklichen Fähigkeiten nicht schaffen könnte. Oder es soll besonders amateurhaft wirken oder im Jargon hochspezialisierter Kunstfertigkeiten gefertigt sein. Nichts dergleichen ist bei Stefan Eberstadts Installation der Fall: Seine Rolle ist eher die des Architekten, der einer Firma Pläne liefert, als deren Ergebnis dann ein Raum entsteht.

Eberstadt sagt selbst, dass auch das, was dort errichtet wurde, durchaus gewisse Assoziationen zu gewohnten Elementen des Wohnens erlauben soll: Ein Bett. Eine Sitzgelegenheit. Eine Art Wandschrank. Nur ein großer Quader stört in der rechtwinkligen Anordnung der Quasi-Dinge im Raum. Der Quader ist unten offen, er »hängt« von der Decke. Und er »drängt« zur Tür herein, merkt man beim Wieder-Verlassen des Raums. Oder er drängt hinaus, je nachdem. Es ist das einzige Mal, dass einer der Künstler, die in der Baracke ausstellen, den zugewiesenen Ex-Büroraum verlässt und in den Gang hineinarbeitet.

Was nun erleben die Besucher in dem Raum, den sich Eberstadt für die Baracke in Bonn ausgedacht hat? Nach einem kurzen Stichgang in die Tiefe des Büroraums wendet sich der Besucher nach links, schlüpft zwischen eng stehenden Wänden hindurch und erreicht dann so etwas wie den Aufenthaltsraum. Das Licht fällt nur indirekt ein. Es ist das nur minimal ausgehellte normale Bürolicht, das durch das normale Fenster in den Rest-Raum jenseits der Trockenbauwände hineindringt und von dort weiter in den Kunst-Raum gelangt. Eine gewisse Beklemmung dürfte sich nicht vermeiden lassen. Doch Eberstadt unternimmt auch keinen Versuch, diese zu forcieren. Der Raum ist weder zu eng, noch hat er eine Merzbau-haft verschobene, individuell-verschrobene Wirkung. Hier hat sich niemand »eingerichtet« und ist gerade nicht zu Hause. Der Gedanke an eine Gefängniszelle ist nicht ganz abwegig, zumal in vielen heutigen Gefängnissen alle Möbel fest eingebaut sind um das Randalieren der Insassen zu erschweren.

»Physical Instrument«, das könnte auch quasi als »James-Turrell-im-Trockenbau« funktionieren: Sich hinsetzen, langsam ein Gespür für die Nuancen der unterschiedlichen Dämmerungszonen innerhalb des Raumes entwickeln. Versenkung, Verfeinerung der Wahrnehmung: Der klassische Kunstgenuss, nur unter gänzlich anderen Bedingungen.

Stefan Eberstadt hat immer wieder Arbeiten angefertigt, die einen praktischen Zweck hatten (und damit eigentlich keine Kunst mehr sind): Bücherregale, ein Kindertisch, ein Hocker, Regale und Verkaufstresen. Er hat ein »Rucksackhaus« entwickelt, dass an ein bestehendes Gebäude angehängt werden kann und hat sich immer wieder mit dem Raum als »dichter Packung« beschäftigt: Wie dicht kann ich etwas in etwas anderes hineinpacken?

Viele Arbeiten Eberstadts haben so etwas wie einen »pseudo-praktischen Zweck«: Riesige Kisten aus Pressspanplatten zum Aufbewahren von Sitzpolstern. Oder sehen so aus, als seien sie praktisch, sind aber reine Skulptur: Wie zum Beispiel »Rocks on Rolls« (2003), eine Persiflage auf »Designer-Möbel« im Allgemeinen und die Niederungen des »Bauhaus-Stils« im Speziellen. Die Arbeit »Rocks on Rolls« hier herauszugreifen und in Bezug zur Bonner Rauminstallation zu setzen, hat mehrere Gründe. Zum einen das Material: Was in Bonn die Durchschnittswand leistet, das ist bei »Rocks on Rolls« der Möbelbau-Normalpegel. Weiße und schwarz laminierte Spanplatten, über Eck sichtbar verschraubt und dann die Schraublöcher abgedeckt mit speziell dafür entwickelten kleinen Plastikkappen. Den Marmorkies, mit denen die »kubistischen« (sic!) Holztröge gefüllt sind, gibt es auch im Baumarkt, er signalisiert unterschwellig die Botschaft von »gekiester Auffahrt«, schielt also zur Upperclass, die sich sowas vor die Villa kippt. In Verbindung mit dem schwarz-weißen Quadergeschiebe, das auszudrücken scheint, dass hier jemand die klassische Moderne sozusagen »kapiert hat«, entsteht eine hinreißend absurde, sehr komische Skulptur. Obwohl sie so überdeutlich aus dem Material- und Formrepertoire des falschverstandenen »guten Geschmacks« schöpft, gibt sie diesen nicht der Lächerlichkeit preis. Es blitzt allenfalls der Schalk darin auf, dass es auch gelingen kann, aus den Untiefen der Dingwelt zu fischen. Das schlägt die Brücke zur Bonner Rauminstallation: Muss man sie nicht eher komisch finden, statt darin etwas latent Bedrohliches zu sehen? Es ist ja alles nur Gipskarton!

So funktioniert es Arbeit auf zwei Weisen: Sie »kann« etwas (wie gesagt: der »James-Turrell-im-Trockenbau«) und gleichzeitig wird einer allzu tiefgründigen Deutung (die der Titel nahelegt) dann doch der Boden entzogen. So gänzlich humorfrei eine »perception cell« zu errichten, das wäre gegen die Tendenz von Stefan Eberstadts bisherigem Werk.

Oliver Elser, Kurator, Deutsches Architekturmuseum (DAM), Frankfurt

Dr. Cornelia Gockel in »Stefan Eberstadt«

»Stefan Eberstadt«, Ausstellungskatalog,
Bezirk Oberbayern, 2009
 

Abstraktion als Utopie

»Sieg über die Sonne« nannte Dimitrij Krutschonych euphorisch seine Oper die 1913 in St. Petersburg uraufgeführt wurde. Die Gemeinschaftsproduktion von vier russischen Künstlern feierte die Geburt eines neuen Menschen, der die Natur überwindet. Kasimir Malewitsch hatte das Bühnenbild und die Kostüme dazu entworfen. Trotz des gewaltigen Anspruchs, den die Künstler mit der Oper verbanden, blieb sie folgenlos und wurde nach nur zwei Aufführungen abgesetzt. Den Sieg über die gegenständliche Welt errang ein kaum erkennbares Detail auf dem Bühnenvorhang: das schwarze Quadrat auf weißem Grund. Malewitsch malte das Motiv 1915 noch einmal in Öl auf Leinwand und schuf damit die Ikone der ungegenständlichen Malerei. Sie steht am Anfang einer neuen Kunstrichtung, die mit der Verwendung von geometrischen Formen und klaren Farben eine universelle Bildsprache entwarf, die alle Lebensbereiche umfasste. Ähnliche Überlegungen hatten etwa zur gleichen Zeit niederländische Maler wie Piet Mondrian und Theo van Doesburg. Durch die Reduktion auf die gestalterischen Mittel von schwarzen geraden Linien und farbigen Flächen sollte die Trennung von Kunst und Leben aufgehoben werden. Beide utopischen Modelle scheiterten an der Wirklichkeit, doch die abstrakten Formen überlebten und eroberten sich nach zahlreichen Metamorphosen einen festen Platz sowohl in der bildenden Kunst als auch im funktionalen Design. Die Universalität geometrischer Grundformen scheint wie ein Behälter, der immer wieder neu mit Bedeutung aufgefüllt werden kann.

Mit der Besetzbarkeit von abstrakten Formen und ihrer Umkodierung durch künstlerische Intervention beschäftigt sich Stefan Eberstadt. Seine Skulpturen, Rauminstallationen und benutzbaren Wohnobjekte wecken Erinnerungen an die gegenstandlose Kunst von Bauhaus bis Minimal Art sowie an die Designgeschichte. Eberstadt arbeitet orts- und kontextbezogen. Wie ein Archäologe spürt er in Räumen disparate Situationen und verschüttete utopische Momente auf, thematisiert sie in seiner künstlerischen Arbeit und befragt sie auf ihren gesellschaftspolitischen Gehalt. In der Doppelausstellung mit Bruno Wank in der Galerie des Bezirks Oberbayern hat er das Interieur des Foyers aufgegriffen, das als repräsentativer Raum im Stil der 80er Jahre gestaltet wurde. Durch eine Vielzahl von Säulen und Pfeilern, Deckenstrahlern und Spots, dem halbrunden schwarzen Empfangstresen im Haller-Design und dem zartgrau gemasertem Marmorboden ist der Raum nur bedingt für Ausstellungen geeignet. Eberstadt hat darauf reagiert, indem er eine fragile Skulptur aus farbig gefassten Kuben zentral im Raum platziert hat, die sowohl mit der Arbeit von Bruno Wank als auch mit dem vorhandenen Design korrespondiert. In Zusammenhang mit den monochrom bemalten Wänden stellt er Fragen nach der Funktion und Bedeutung von Dekoration und ihrem Verhältnis zur Kunst.

Die Grenzen zwischen bildender und angewandter Kunst sind bei Eberstadt fließend. So entwarf er mit Above White (2005) eine raumgreifende Deckeninstallation bestehend aus einem Raster von rechteckigen geometrischen Formen. Sie erinnert an die Deckengestaltungen von Büroräumen aus den 70er Jahren, die als Blendschutz vor dem kalten Neonlicht eingesetzt wurden. Above White erfüllt nicht nur die Funktion als autonomes Kunstwerk, sondern auch als formschönes Wohnobjekt, in dem die Zeichen der Zeit und des Raums ablesbar sind.

Bei vielen seiner Arbeiten hat Eberstadt nicht nur einen schöngeistigen Kunstrezipienten vor Augen, der sich an dem intellektuellen Spiel mit wandelten Kontexten und kunsthistorischen Zitaten erfreut, sondern auch die Bedürfnisse eines konkreten Nutzers. Für die Städtische Kunsthalle Lothringer13 in München entwarf er 2007 die Physical Bar, einen weißen Container auf Rollen mit unregelmäßigen Fensteröffnungen. Das universaleinsetzbare Living-Unit wurde von den Mitarbeitern als mobile Bar oder als temporärer Arbeitsplatz genutzt. Für das Kunstmuseum Bonn entwarf er mit Odeon eine Raumskulptur zur Präsentation der Videosammlung. Ähnlich wie eine Wohnlandschaft fügt sich das benutzbare Objekt in den White Cube, strukturiert den Raum und schafft intime Orte, die den Besuchern das konzentrierte Betrachten des Videoprogramms ermöglicht.

An die gescheiterten Versuche der Stadtmöbelierung aus den 70er Jahren erinnert das architektonische Objekt 24-Hour Piece aus Sperrholz, das irgendwo zwischen pflegeleichtem Kinderspielplatz und Sitzmöglichkeit für den öffentlichen Raum angesiedelt ist. Es besteht aus verschiedenen Kuben mit unterschiedlichen Volumina, die Eberstadt zu einem Ensemble verdichtet und mit kreisrunden Straßenlaternen bekrönt hat. Der Künstler hatte die Arbeit 2003 auf dem Willi-Daume-Platz im Olympiapark installiert und mit den kugeligen Lampen das Design der damaligen Zeit zitiert.

Der Olympiapark ist inzwischen in die Jahre gekommen und mit ihm die Architektur, die einst als Gesamtkunstwerk gepriesen wurde. Sie sollte ein neues Deutschland verkörpern, das sich der Welt öffnet. Doch die glanzvolle Selbstinszenierung der jungen BRD wurde überschattet durch ein Attentat. Der Traum von der Einheit von Kunst und Leben scheiterte an der politischen Wirklichkeit. Diese bittere Erfahrung mussten auch schon die Künstler zum Anfang des 20. Jahrhunderts machen, als sie mit der Universalität der geometrischen Bildsprache die Welt aus den Angeln heben wollten. Den Sieg über die Sonne konnten sie nicht erzielen. Doch es erscheint als kleiner Trost, wenn in Eberstadts 24-hour Piece die kugeligen Straßenlaternen rund um die Uhr im nächtlichen Olympiapark leuchten. Die großen Utopien sind gescheitert, aber in der Abstraktion leben sie weiter.

Dr. Cornelia Gockel, Kuratorin Medien, Sammlung Goetz, München

Stefan Eberstadt im Interview mit Amely Deiss und Rasmus Kleine

Interview mit Amely Deiss und Rasmus Kleine,
in »raw materials – vom Baumarkt ins Museum«, Ausstellungskatalog,
Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt, Kerber Verlag, 2012
 

Stefan, welche Bedeutung hat ganz grundsätzlich gefragt der Baumarkt für Dich und Dein Werk?

Eigentlich eine sehr große und auch schon eine sehr lange. Das geht zurück bis zu meinem Studium bei Eduardo Paolozzi, der mit »popular images«, mit Readymades und mit Collage-Versatzstücken gearbeitet hat. Wir Studenten waren damals viel mit ihm zusammen und manchmal den ganzen Tag gemeinsam unterwegs. Wir haben uns etwa in der Glyptothek getroffen und von dort ging es dann weiter, indem wir alle möglichen Papiertonnen durchstöbert und nach Images und Fundstücken gesucht haben. Dann sind wir vielleicht noch in den Spielzeugladen gegangen und es war auch nicht unüblich, am Nachmittag noch einen Baumarkt zu besuchen. Dieses Pendeln zwischen High und Low hat Paolozzi ganz anders interpretiert, als es vielleicht üblich war. Und so kam auch bei uns ziemlich schnell dieses Bewusstsein auf, dass eben ein Besuch im Baumarkt genauso interessant und intellektuell herausfordernd sein kann wie ein Besuch in der Glyptothek. Und ich kann auch heute noch so in einen Baumarkt gehen wie in die Alte Pinakothek. Dass ich mir also Dinge anschaue oder einfach flaniere und plötzlich Gedanken mich fesseln, über die ich dann sinniere. Das ist dann ein genauso interessanter Besuch.

Der Baumarkt ist also ein inspirierender Ort für Dich, dem Du auch nach Deinem Studium treu geblieben bist?

Ja. Ich kann durch einen Baumarkt gehen und finde Teile und Materialien, an die ich vorher nie gedacht habe. Was mich beispielsweise dort auch immer fasziniert hat, waren einfach Stapel von Baustoffen wie Holz, Rigips, Styropor. Und dann fragt man sich ja auch, was denn eigentlich passiert, wenn ich so ein Bild herausnehme und in einen anderen Kontext überführe. Da beginnen ja eigentlich sehr interessante Fragestellungen. So wurde der Baumarkt als Ressource für mich immer wichtiger. Ich wollte immer Dinge bauen. Ich gehörte also schon immer eher zu den Künstlern, die einen Plan machen und sich dann das entsprechende Material besorgen, als zu denen, die mit beiden Händen im nassen Ton manschen. Ich arbeite viel mit Halbzeug, und dafür gehe ich eben sehr häufig in den Baumarkt. Es gibt aber noch andere Aspekte. Grundsätzlich interessiert mich beim Kunstmachen das Ephemere, das Vergängliche, das Zufällige. Baustellen sind ja im Prinzip auch solche Orte, wo Bewegung, wo Veränderung stattfindet. Das sind für mich auch immer ästhetische Bilder gewesen und die haben sich dann bei mir manifestiert in Pressspanplatten, in weißer Wandfarbe, in Schrauben, weil das das Material ist, mit dem ich alles Mögliche schnell zusammenbauen kann. Und dann kamen auch so pragmatische Fragestellungen: Wie kann ich meine Arbeiten platzsparend lagern und so zerlegen, dass sie bewegungsfähig bleiben? Und warum soll ich als Künstler nicht auch so pragmatisch denken wie die Betreiber eines Baumarktes oder von Ikea? Und so entstanden dann meine zerlegbaren Objekte, die beispielsweise sichtbar verschraubt sind. Auch das Material sehr vieler meiner Arbeiten ist beschichteter Pressspan, also das klassische Ikea-Möbelmaterial. Für mich ist das auch absolut sinnfällig, weil es mit dem heutigen Menschen zu tun hat, weil daraus unsere Welt zusammengebaut ist. Bei allem Rationalisieren ist es dabei für mich aber immer auch sehr wichtig, eine gewisse Sinnlichkeit zu bewahren.

Haben denn diese alltäglichen Materialien wie Pressspan für Dich auch eine Geschichte? Oder ist es erstmal ein ganz neutrales, überall verfügbares Material, dem Du als Künstler die Geschichte und Inhalte erst einschreibst?

Also zum einen ist Pressspan wie ein Stück Papier, eine unbehandelte Fläche, in die ich einfach rein schneiden kann, aus der ich etwas ausschneiden kann, die ich zerlegen kann. Bei einem echten Stück Holz arbeitet man ja auch mit der Richtung des Holzes, da muss man ganz andere Entscheidungen treffen, während ich bei so einer Spanplatte in Blaue hinein schneiden kann, es ist richtungslos. Das finde ich faszinierend. Aber es ist für mich auch das Symbol für unsere gebaute Innenwelt. Es hat also durchaus einen symbolischen, erzählerischen Wert. Und natürlich besitzt eine Spanplatte, die einfach nur daliegt, auch eine ganz eigene Schönheit. Sie kann wunderschön sein mit ihrer leicht staubigen Oberfläche und wenn sie klar geschnitten ist – sie ist aber zugleich auch recht wertlos. Und wenn man sie zwei Tage draußen liegen lässt, dann sieht sie furchtbar aus und du kannst sie eigentlich nur noch entsorgen. Es gibt also diese zwei Seiten, zum einen dieses Wegwerfmoment und zum anderen die absolute Ästhetik.

In Ingolstadt zeigen wir eine frühe Pressspan-Arbeit von Dir, »Anleimung«, eigentlich eine Baumarktarbeit par excellence.

Für »Anleimung« habe ich einfach Pressspan genommen und eine Flasche Ponal, und aus diesen beiden Elementen besteht die Arbeit. Mir ging es dabei darum, dass die Komponenten sichtbar sind, dass nichts versteckt oder angehübscht wird – allerdings muss ich zugeben, dass ich dem Leim etwas weiße Acrylfarbe beigemischt habe, damit er auch nach dem Trocknen sichtbar bleibt. Dann klebe ich die einzelnen Teile eines Quadrats mit Holzleim wieder zusammen – mich haben geometrische Unterteilungen in Felder und das Zusammensetzen schon immer sehr interessiert. Normalerweise würde beim Zusammenkleben jeder Handwerker darauf achten, den Leim wegzuwischen, um möglichst keine Spuren zu hinterlassen. Ich habe aber den Leim bewusst stehen lassen. Es hat mich eben interessiert, sozusagen mit Fehlern, die man vermeiden soll, kreativ umzugehen, sie bewusst als künstlerisches Mittel einzusetzen, wie eine gezeichnete Linie. Wenn ich die Holzteile zusammenfüge und die Schraubzwingen ansetze, quillt der Leim heraus, was ich nicht mehr steuern kann. Kalkül und Zufall spielen also gleichermaßen eine Rolle.

Wie wichtig ist für Dich das Wegwerfmoment, das Du angesprochen hast?

Im frühen 20. Jahrhundert wurde ja regelrecht eine neue Welt entworfen, mit viel positiver Energie und einem großen utopischen Potential. Es ging beispielsweise darum, Wohnraum für die Arbeiter zu schaffen. Dabei entwickelte man die »Frankfurter Küche« und all die Möbelprogramme, die erschwinglich und rational und sauber waren und glatte Oberflächen hatten. Das waren Dinge, die für eine lange Lebensdauer entwickelt wurden. Damals gab es ja noch nicht diese Raffinessen, dass in einem Drucker eigens ein Chip verbaut wird, der dafür sorgt, dass sich das Gerät nach einer bestimmten Anzahl von Ausdrucken selbst funktionsunfähig macht. Und heute leben wir in einer absoluten Wegwerfgesellschaft, was schrecklich ist. Wir müssen uns mit den Altlasten und den billigen Materialien auseinandersetzen, die uns die Generation unserer Eltern hinterlassen hat. Für mich ist es da einfach sehr signifikant und bedeutsam, dass ich mich mit diesem Material, das mich seit meiner Kindheit umgibt, in irgendeiner Form auseinandersetze.

Die Erscheinung der heutigen Welt ist also für Deine Kunst ein zentraler Ausgangspunkt, auch außerhalb der Warenwelt von Baumarkt und Ikea?

Ich streiche gerne durch Städte und fotografiere dabei sehr viel. Das können Architekturfassaden sein, aber auch Beiläufigkeiten wie ein Stapel oder Strukturen, die irgendwo lehnen oder an einem Gebäude oder an Un-Orten wie Tiefgaragen angebracht sind. Dabei entsteht eine Sammlung von Bildern, die oft Ausgangspunkte für mich sind, weiter nachzudenken – darüber, wie eine neue Skulptur aussehen kann, eine Installation oder Wandarbeit. Ich leite mir also von diesen Normalitäten, die anonym von irgendeinem Handwerker angebracht werden, etwas ab und versuche sie in eine neue Systematik zu überführen.

Wie wichtig ist es für Dich, Materialien zu verwenden, mit denen im Grunde jeder Mensch auch schon einmal gearbeitet hat?

Zum Teil lasse ich meine Arbeiten ja auch von Spezialfirmen bauen, wenn es beispielsweise um Werke aus Aluminium oder Stahlblech geht. Aber natürlich spielt es eine große Rolle, dass der Betrachter meiner Arbeiten denkt, dass er etwa so eine Pressspankiste auch selber bauen kann. Und dass sie ihm bekannt vorkommt. Mir ist dieses Wiedererkennen wichtig. Aber dann gibt es da eben diese bestimmte Verrückung, um die es eigentlich geht. Es ist eben nicht einfach der Baumarkt, sondern durch diese Verrückung wird es zu Kunst. Sonst wäre ja der Baumarkt per se ein riesiges Readymade. Es geht inhaltlich immer um Entscheidungen, darum, Dinge leicht dahingehend zu verändern, dass sie eine bestimmte Aussage bekommen. Das ist dann diese Wendung aus dem Material raus, und die erkennt der Betrachter. Er kennt den Ursprung des Materials, aber er erkennt dann auch die Veränderung. Und darin liegt der eigentliche Gehalt einer Arbeit.

Amely Deiss, stellv. Direktorin, Museum Konkrete Kunst, Ingolstadt
Rasmus Kleine, Leiter des Kallmann-Museums, Ismaning