Stefan Eberstadt

rucksack house, ab 2004

Technik

geschweißter Stahlkäfig, Stahlseile,
Furnierschichtplatten witterungsbeständig (außen),
Acrylglasfenster, Multiplex Birke (innen)
Maße: 250 x 250 x 360 cm


Statik

a.k.a.ingenieure, München
Dipl.-Ing. Thomas Beck

 
 

An folgenden Orten wurde Rucksack House bisher gezeigt:

Heinrichsdamm, Bamberg, 2011–2012

Fotos obere Reihe:
Courtenay Smith, Francoise Bollack
Innenansichten:
Courtenay Smith

Aachener Straße, Köln, 2005–2006

Fotos obere Reihe:
Thomas Taubert, Hana Schäfer
Innenansicht:
Hana Schäfer

Halle 14, Baumwollspinnerei, Leipzig, 2004–2005

In seinem Projekt Rucksack House bezieht der Künstler Stefan Eberstadt aktuelle architektonische Fragen wie Mobilität und Flexibilität mit ein und reagiert damit auf die veränderten Bedingungen des modernen Lebens. Gerade wegen seiner Einzigartigkeit – einen Extra-Raum an Stahlseilen vor die Fassade eines Hauses zu hängen – hat Rucksack House in den vergangenen Jahren sehr viel öffentliche Resonanz und Publizität erfahren.

Stefan Eberstadt untersucht die Frage, worauf sich der Anspruch von Kunst heute richten kann. Wo kommt es zur Anwendung? Rucksack House zeigt, wie Kunst bestimmte soziale Notwendigkeiten und aktuelle architektonische Fragen mit einbeziehen kann. Wie der Name schon sagt, funktioniert Rucksack House ähnlich dem Prinzip des Rucksacks, der mit Stahlseilen an seinem »Wirt« hängt und einen eigenen, abgeschlossenen Raum für persönliche Dinge schafft.

Rucksack House wurde 2002 als Projekt von dem Künstler Stefan Eberstadt entwickelt und als Beitrag in das Buch »Xtreme Houses« (Prestel Verlag) von Courtenay Smith und Sean Topham aufgenommen.

Die Realisierung von Rucksack House im Sommer 2004 wurde weitgehend durch großzügige finanzielle Mittel der Stiftung Federkiel/Halle 14 aus Leipzig, durch ein Projektstipendium 2004 für Bildende Kunst der Landeshauptstadt München, in Kooperation mit fiedler contemporary aus Köln, sowie durch Unterstützung von Dipl. Ing. Thomas Beck, a.k.a. Ingenieure, München ermöglicht.
Seit seiner Realisierung im September 2004 im Rahmen der internationalen Ausstellung »Xtreme Houses« in der Halle14 der ehemaligen Baumwollspinnerei in Leipzig hat Rucksack House eine enorme Öffentlichkeit und Medienresonanz bekommen und war dort bis September 2005 als Raumerweiterung vor der Fassade eines Gebäudes zu sehen.

Als speziell geförderter Beitrag vom Ministerium für Bauen und Verkehr NRW wurde Rucksack House von »plan05 – Forum internationaler Architektur« für 2005 zur Realisierung im Kölner Stadtraum (vom 21. September bis 30. September 2005) eingeladen. Über diesen Zeitraum hinaus blieb Rucksack House bis März 2006 im Stadtraum zu sehen.

Foto: Courtenay Smith Rucksack House war 2006 als Beitrag in der Ausstellung »Convertible City« im Deutschen Pavillon auf der 10. Internationalen Architekturbiennale in Venedig und bei »Talking Cities« auf der Zeche Zollverein in Essen zu sehen, beides Ausstellungen, die temporäre Strukturen und räumliche Eingriffe im urbanen Raum zum Thema hatten. 2007 war Rucksack House in der Ausstellung »Alternative Family Housing« in Centrum Architektury in Brno (CZ) vertreten und war auf der 7th São Paulo’s International Biennial of Architecture in Brasilien zu sehen. 2009 wurde Rucksack House zur SEGUNDA BIENAL DE CANARIAS in Santa Cruz de Tenerife eingeladen. Von April 2011 bis Dezember 2012 war Rucksack House mit Unterstützung der Freunde des Künstlerhauses Villa Concordia und der Oberfrankenstiftung in der Innenstadt von Bamberg an der Fassade eines Hauses zu sehen.

Projektbeschreibung

Foto: Francoise Bollack Angesiedelt zwischen Kunst und Architektur, zwischen Form und Funktion, ist das Rucksack House eine begehbare Skulptur mit eigener Raumqualität, ein schwebender Lichtraum, der wie eine Kreuzung aus temporärem Baugerüst und »minimal sculpture« wirkt. Mobil wie ein Rucksack, wird dieses Mini-Haus als Raumerweiterung mit Stahlseilen vor die Fassade eines beliebigen Wohnhauses gehängt und beim Umzug von seinem Bewohner mitgenommen – ob ein paar Häuser weiter oder in ein anderes Land.

Foto: Courtenay Smith Als individuell erfahrbarer Freiraum nur privat zugänglich – obwohl für jeden sichtbar im öffentlichen Raum – spendet es mittels ausklappbarer Einrichtungsgegenstände und eingebauter Öffnungen zusätzlichen Wohnraum mit direktem Tageslicht. Einzelne Wandsektionen verwandeln sich mit Hilfe von versteckten Magneten funktional in Schreibtisch, Regale oder eine Plattform zum Lesen und Schlafen. Die aufgehängte Rucksack-Box ist mit dicken, verstärkten Stahlseilen an das »Gast-Haus« oder den »Wirtskörper« angebunden, von dem sie auch den Strom anzapft.

Der Prototyp seiner 1,6 Tonnen schweren, realen Wohn-Skulptur hingegen ist in Skelettbauweise aus verschweißten Eisenvierkantrohren und Sperrholz-Standard-Platten gefertigt. Die Außenhaut besteht aus witterungsbeständigen Furnierschichtplatten, die von Plexiglas-Einlagen unterbrochen wird.

Mit der Vorstellung, durch eine höchst einfache und einleuchtend nachvollziehbare Methode im wörtlichen Sinne neuen Raum an einen schon bestehenden Raum anzudocken, wird die Idee vom selbst gebastelten und anarchistisch gesetzten Baumhaus wiedererweckt, diesmal jedoch prominenter platziert und statisch geprüft.
Die Idee des Rucksack House als voll funktionierender Lebensraum ist Resultat einer grundlegenden künstlerischen Frage: Wie kann Skulptur außerhalb des Kunstkontexts funktionieren? Was ist ihr heutiger Anspruch, wo kommt sie zur Anwendung?

Auszüge aus einem Interview mit Sam Lubell,
Architectural Record, New York, Februar 2005

Sam Lubell: Eine Struktur von einem anderen Gebäude abzuhängen ist sicherlich eine einzigartige Idee. Wie bist Du darauf gekommen?

Stefan Eberstadt: Warum sollte ein Gebäude genau da enden, wo seine Wände sind? Wie könnte sich das Gebäude erweitern? Die klaustrophobischen Lebensbedingungen, die ich in Cities wie New York oder London erfahren habe, als ich dort in winzigen Appartements wohnte, die meist nur ein einziges Fenster hatten, provozierten diese Idee bei mir. Anstatt nur aus diesem Fenster hinauszuschauen, stellte ich mir vor, dass dieser Raum jenseits des Fensters zu einem realen, begehbaren Raum werden könnte. Steck’ einfach etwas Raum dran! Es war ein sehr direkter und bildhauerischer Ansatz und ich wollte auch den Prozess, wie es befestigt ist, sichtbar lassen. Neuer Raum wir durch eine simple, klare und verständliche Weise an ein bereits existierendes Gebäude angedockt. Das hat für mich auch diese Idee vom selbst gebastelten und anarchistisch gesetzten Baumhaus wiedererweckt, diesmal jedoch prominenter platziert und statisch geprüft. Unsere allgemeine Wahrnehmung muss stärker gefordert werden, da wir schon irritiert sind, wenn plötzlich die glatte Gebäudefassade durch einen Würfel unterbrochen wird, der in den Straßenraum hineinreicht.

Welchen Zweck erfüllt die Struktur? Ein Bedürfnis nach Ruhe? Eine neue Perspektive?

Beides. Ich habe diesen 9qm großen Raum entworfen, komplett leer und mit klaren Wänden, die nur durch den Rhythmus der Fensteröffnungen unterbrochen werden. Ein heller und leerer Raum zur Kontemplation und ohne Vorgaben, nur offen für die individuelle Nutzung. Wenn nötig, können bestimmte Möbelelemente aus den Wänden ausgefaltet werden, die zu einer niedrigen Liege-Plattform, einem Tisch und einem Stuhl werden. Oder, wie ich es persönlich vorziehe, nur auf dem Boden zu sitzen, um den offenen und klaren Raum zu genießen und mit der Umgebung außen zu verschmelzen, die durch die verschiedenen Fenster herein tritt. Man befindet sich in einer privaten Atmosphäre und gleichzeitig schwebt man im öffentlichen Raum.

Wie befestigt man es?

Zuerst hebt ein Autokran das Rucksack House hoch, während sich ein Team in einer Hebebühne befindet und das Objekt in Position dirigiert, so dass die vier Dorne in die, dafür vorgesehenen Löcher in der Fassade einstecken. Wie ein Rucksack hängt die Box an Stahlseilen, die, umgelenkt zuerst über das Flachdach laufen, dann wieder umgelenkt werden, um an der rückwärtigen Fassade verankert zu werden. Nachdem die Stahlseile gespannt und fixiert sind, kann der Kran aushängen und fahren. Der gesamte Hängeprozess dauerte nur etwa 4–5 Stunden. Tags zuvor werden die Vorarbeiten erledigt, einmal das Setzen und Zementieren der Auflager und Verankerungen, sowie das Befestigen der Umlenkungen am Dach.

Wie kann man Deine Design-Überlegungen beschreiben?

»Space Matters«, Raum zählt! Ich bin daran interessiert neue Raum- Modelle zu entwickeln, gerade vor dem Hintergrund, dass wir in bestimmten urbanen Zentren immer mehr verfügbaren Raum verlieren. Als Künstler experimentiere und re- definiere ich Raum als Kategorie, besonders bezogen auf Zwischenräume und ungenutzte Nischen, um seine physischen Eigenschaften, sozialen Funktionen und intellektuellen Grenzen weiterzutreiben. Die Aufgabe von Kunst heute sehe ich darin, auf die Gestaltung und Formung unserer Umwelt Einfluss zu nehmen. Damit steht Kunst nicht als isolierter Faktor, sondern sie sollte immer wieder mögliche Wechselwirkungen auszuloten, die sich z.B. zwischen Skulptur, Architektur und Design ergeben können. Denn um zu bestehen, muss sich die Kunst mit Themen auseinandersetzen, welche außerhalb ihres Bereiches operieren. Entscheidend für mich bei der Entwicklung des Projektes im Jahr 2002 war und ist bis heute aber die Tatsache, dass Rucksack House zunächst von der Fragestellung der Skulptur her entsteht: Worauf kann sich der Anspruch von Skulptur heute richten? Rucksack House zeigt, wie Skulptur bestimmte soziale Notwendigkeiten und aktuelle architektonische Fragen mit einbeziehen kann.

Man kennt natürlich viele kubische Strukturen, aber was macht die Würfelform zu so einer gutgeeigneten Mini-Haus-Struktur?

Vielleicht ist es eine sehr persönliche Entscheidung, die Würfelform zu benutzen, denn ich habe eine Vorliebe für geometrische Strukturen. Psychologisch gesehen, vertraut man der Würfelform, weil sie eine logische, ehrliche, nachvollziehbare und solide Form darstellt, besonders wenn sie frei hängen soll. Für mich ist es auch eine einfacher zu kalkulierende und zu bauende Struktur, die auch den nutzbaren Grundriss bietet.

Glaubst Du, es gibt Leute, die eine dieser Strukturen besitzen, bewohnen wollen? Könnte dies ein Wohnmodell sein?

Ja, in einer bestimmten Weise reflektiert es ja auch die Persönlichkeit des Besitzers. Wenn man bereit zu einer Veränderung ist, ist Rucksack House das richtige Statement, dies auszudrücken. Weiterhin ist es ein hervorragendes Beispiel für Kunst im öffentlichen Raum und ein toller Extra-Raum zum Sofortgebrauch. Idealerweise könnte es ein funktionierendes Wohnmodell sein, aber zuerst wollte ich eine Vision auf den Weg bringen, darüber nachzudenken wie wir wohnen und wo Wohnen stattfinden kann.

Foto: Copyright Einfallsreich.tv